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Ein Schweizer an den Wurzeln des US-Blues

swissinfo  

20. November 2003 14:45

  

 

Der Berner
Der Berner "Wale" Liniger, Blues-Professor in den USA. (Foto: Musig im Dorf)

Das amerikanische Parlament hat das laufende Jahr 2003 zum "Jahr des Blues" erklärt.

Eine grosse Chance für den Schweizer Musiker Walter Liniger, der in den Vereinigten Staaten selbst erfolgreich diesen Musikstil lehrt.

 

"Der Blues wurde in einer dunklen und von Gewalt geprägten Zeit geboren", sagt "Wale" Liniger gegenüber swissinfo. "Deshalb ist es schon seltsam, dass man so etwas feiern kann. Vielleicht hängt dies mit Amerika zusammen."

Liniger, in Bern geboren und aufgewachsen, kennt sich aus im Blues. Seit über 20 Jahren lebt er in den Vereinigten Staaten, wo er an der Universität von South Carolina Mundharmonika und Blues unterrichtet.

Amerika hat es ihm ermöglicht, aus seiner Passion seinen Beruf zu machen. "Das ist es, was mir an Amerika so gefällt. In der Schweiz fragen sie dich nach einem Arbeitszeugnis, bevor sie dir einen Job geben. In Amerika läuft das anders. Hier zählt das, was du kannst."

 


In der Schweiz fragen sie dich nach einem Arbeitszeugnis, bevor sie dir einen Job geben. In Amerika zählt das, was du kannst.
Walter Liniger, Musiker

Die USA besser kennen lernen

Liniger kam Anfang der achtziger Jahre in die USA. Nach acht Jahren als Lehrer in Bern suchte er etwas anderes. Er wollte Amerika kennen lernen, wo er sich schon vorher zu Studienzwecken kurz aufgehalten hatte.

1984 reiste er in den Süden und fand einen Job im Blues-Archiv der Mississippi-Universität in Oxford. Dort verdiente er zwar nicht viel, doch bereut habe er diesen Entschluss nie.

Rendezvous mit den Grossen des Genres

In jenen Jahren machte sich Liniger mit den Grossen im Blues bekannt. Er spielte im Duo mit dem Meister des Delta Blues, James Son Thomas und verkehrte mit Eugene Powell, Jack Owens, Johnny Woods, Wilbert Lee Reliford und anderen Vertretern des Mississippi-Blues.

Liniger begann zu recherchieren, traf sich mit vielen Leuten und befragte Dutzende von Alten, die irgend etwas mit dem Blues zu tun hatten. Dies weniger aus beruflichem Interesse als aus Spass an der Musik.

"Heute frage ich mich, was ich damals eigentlich suchte. Sicher wollte ich die Wurzeln des Blues finden. Doch so denken Europäer. Wir sind überzeugt, dass sich immer eine Quelle finden lässt, die alles erklären kann."

Seit Jahren versucht der Berner, gegen diese Denkweise anzukämpfen – "gegen dieses typisch schweizerische Präzisionsdenken". Er habe viel über sich selbst gelernt, über seine Stärken und Schwächen. "Das ist im Grunde genommen, was der Blues sein muss: Der Spiegel seiner selbst. Es hat mich 20 Jahre gekostet, um dies zu begreifen."

 


Heute ist das Blues-Publikum nicht mehr schwarz, sondern weiss.
Walter Liniger, Musiker

Parallelen zur Schweizer Volksmusik

Heute lehrt Liniger an der Universität South Carolina jungen Amerikanern das Mundharmonikaspiel. Die meisten von ihnen sind Weisse. "Heute ist das Blues-Publikum nicht mehr schwarz, sondern weiss. Wäre ich ein Schwarzer, hätte ich schon eine andere Beziehung zum Blues, denn dieser sagt mir ständig, woher ich komme."

Dasselbe sei auch in der Schweizer Volksmusik der Fall. "Während vielen Jahren konnte ich sie nicht anhören. Heute spüre ich, dass diese Musik etwas enthält, das mir sagt, wer ich bin. Viele Schwarze wollen aus den Kategorien von Sklaverei und Rassentrennung ausbrechen. Deshalb wohl wünschen sie sich eine andere Musik."

Jedes Jahr kommt der Blues-Professor in die Schweiz und gibt Konzerte. Er singt seinen Blues, gemischt mit alten Schweizer Volksliedern oder mit einem Walzer. "Anfänglich dachte ich, es sei mein Ziel, mich von meiner helvetischen Seele loszusingen. Mit der Zeit begriff ich dann, dass es sich um das Gegenteil handelte."

"Ich habe 30 Jahre in der Schweiz gelebt. Das Ziel des Blues liegt nicht im Vergessen, sondern im Erinnern daran, was positiv für mich ist und mir gut tut.".

Ein ungewöhnliches Projekt

Letzten Oktober war Liniger in Montreux und nahm teil an einem Seminar von Führungskräften der Post. Zwischen den Sitzungen lehrte er die Post-Manager, wie man rhythmisch mit der Mundharmonika umgeht. "Ich dachte nicht, dass ich es schaffen würde. Doch nach zwei Tagen spielten wir alle zusammen 'I love the way you walk'", sagt Liniger zufrieden.

Der Blues ist in der amerikanischen Musikkultur tief verwurzelt. "Für mich ist das ein Versuch, Amerika zu begreifen. Es ist ein enormes Land", erklärt Liniger. "Viele Amerikaner sind allein. Dieses Gefühl der Einsamkeit steht am Ursprung der amerikanischen Musik, sei es Blues oder Country. Der Blues ist ein Weg, dieser Einsamkeit zu begegnen."

swissinfo, Anna Luisa Ferro Mäder, Washington

(übertragung aus dem Italienischen: Alexander Küenzle)
 

In Kürze

Walter Liniger ist in Bern geboren und aufgewachsen.

Seit über zwanzig Jahren lebt Liniger in den Vereinigten Staaten, wo er an der Universität von South Carolina Mundharmonika und Blues lehrt.

Er arbeitete mit den Grossen dieses Musik-Genres wie James Son Thomas, Eugene Powell, Jack Owens, Johnny Woods, Wilbert Lee Reliford.

 

 

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