sidemeat | Liner Notes (deutsch) | Liner Notes (englisch) |
sidemeat
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ETTA BAKER
JAMES SON THOMAS
WILBURT LEE RELIFORD
JOHNNY WOODS
FRANK DAVIS
JUNIOR KIMBROUGH
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sidemeat
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Wührend einer meiner vielen Besuche nahmen Etta und ich "Boogie" und "Careless Love" im Wohnzimmer auf. Die
Stücke gehürten zum Ritual des Besuchs, sie sind Zeugen von positiver Kraft und Lebensfreude, Energien
welche Etta immer sehr hoch einstufte. "Madison Stomp" und "John Henry" sind die einzigen Studioaufnahmen,
die wir je machten [beide Songs sind auch auf Wale Linigers CD BETTER DAY zu finden]. Doch auch sie folgten
einem gewichtigen Frühstück und der folgenden Zelebrierung der Vergangenheit. "Madison Stomp" ist benannt
nach Ettas Vater, Boone Madison Reid, der seinerseits ein virtuoser Musiker gewesen war und Ettas grosses
Vorbild für gelebte Weisheit geblieben ist. Ettas Absicht war es gewesen auf ihrer alten elektrischen Gibson
durch das Lied zu tanzen, und genau das hat sie dann auch getan.
Wir hatten beide eine Vorliebe für "John Henry," vielleicht weil das alte Lied ganz den Anfang unserer
Freundschaft symbolisierte: bei unserem ersten Zusammentreffen im Jahre 1984 hatten wir den legendüren
Tunnel auf der C&O Strecke in Talcott, West Virginia besucht. Hier war der Legende zufolge John Henry im
Wettkampf mit einer mechanisierten Bohrmaschine gestorben. Etta erinnerte sich ihres Onkels, der ihr den
Song vor langer Zeit beigebracht hatte, und als Harmonika Spieler erinnerte ich mich an meinen Wunsch diesen
wesentlichen amerikanischen Song zu lernen. Bei meinem letzten Besuch, ein paar Wochen vor ihrem Tod (2006),
erklürte Etta noch einmal, dass sie glaube diese Version sei die beste.
JAMES SON THOMAS
Gierig saugt Son an seiner Pall Mall Zigarette. Ein tiefer Hustenanfall folgt und schüttelt seine knochigen
Schultern. Langsam kriecht der blassblaue Rauch sein Gesicht hoch, zuerst den tiefen Linien entlang welche sich
von seinen Nasenflügeln zu seinen Mundecken ziehen bevor er sich fast in den Faltmustern seiner Stirne verliert
- es sind tiefe Furchen, geschrieben vom langen Nachdenken über wirkliche und fantastische [hier im würtlichen
Sinn gemeint] Schattengebilde. Der Strohhut sitzt im traditionellen Winkel auf Sons hoher Stirne; im Schatten
seines Randes sehe ich Sons Augen. Die dunklen Pupillen schwimmen im gelblichen Weiss, Augen die schwer zu lesen
und zu deuten sind. Als er endlich hinter dem rauchigen Dunst hervortritt, sehe ich einen schmalen,
ausgemergelten Mann, leicht nach vorne gebeugt, wie einer der unter einer schweren Last das Gleichgewicht zu
halten sucht. Seine langen Finger fühlen sich kalt und dünn-hart an. Die Hand ist schlank und bleibt unter
meinem Hündedruck schlaff und ohne Antwort. So treffen wir uns.
Wührend unserer gemeinsamen Zeit versucht mir James Son Thomas "sein Mississippi" stündig wieder zu erklüren; es
ist ein Ort wo mein Denken und meine Logik nicht zu funktionieren scheinen. Oft sind seine Antworten einfach,
fast wie ein Mantra: du bist nun nicht mehr jenseits des Ozeans, du bist in Mississippi, du tust was der Mann
dir befiehlt. Son spürt die versteckten Sinklücher und Fallen in den scheinbar seichten Gesprüchen, das
Leben hat ihn gelehrt was zu vergessen sei und was in Erinnerung bleiben müsse. Sein ausgeprügter Sinn für
geschichtliche Rituale hilft ihm in seiner Gegenwart zu leben; in jedem seiner Lieder formuliert er seine
Vergangenheit neu. Die Zukunft erscheint ihm als ein Ort vermummt in Hoffnung, Glauben und Vertrauen, als ein
sehr intimer Ort. Das Delta ist sein Zuhause, er wird hier bleiben, und ich muss mir die Antworten selber
verdienen, eben durch gelebte Zeit und Beobachtungen.
Wir sind die Summe unserer Erinnerungen. Son zeigt mir hüufig Dinge mit denen ich kaum klarkomme; enthüllte
Wahrheiten, die ich nicht verstehen kann, liegen seinem Blues zugrunde. Seine tiefen Gedanken, wie er
etwa die stillen Momente des Nachdenkens nennt, sind geplagt von Schuldgefühlen. Schuld weil er nicht dort war
als seine Mutter starb, Schuld weil er an einen Gott glaubt, dabei jedoch weiterhin Blues spielt. Er trügt eine
schwere moralische Last. Der Blues braucht mehr als feurige Hingabe an die musikalische Stimme. Er fordert
andauernde Aufmerksamkeit für die unsichtbaren Krüfte der Stille, er verlangt Verführung, Triumph und Versagen,
Einigung mit dem Vergangenen, Hoffnung und die Selbstaufgabe an moralische Prinzipien.
Der Blues von Son Thomas krallt sich an seiner Vergangenheit fest, überzeugt, dass die Wahrheit in der Erfahrung
liege. Son Thomas skizziert sich durch die Auswahl seiner Lieder und Geschichten. Dabei weiss er, dass der Blues
ihn in eine Welt entführt die nur ihm alleine gehürt. Es amüsiert ihn küstlich, dass er mich mit einem Lied
abschütteln kann wenn er will.
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Die Stücke "Train I Ride" und "Big Boss Man" wurden beide im Rooster Blues Studio in Clarksdale, Mississippi
aufgenommen [1990 als BOTTOMLANDS auf Kassette R 961000 herausgegeben]. über die Jahre hin hatte mir Son
Thomas oft gesagt, dass ich "Big Boss Man" spielen müsse, falls ich es in Mississippi zu etwas bringen
wolle; es ist ein Klassiker bei schwarzem & weissem Publikum. Vielleicht hat die Beliebtheit von "Big Boss
Man" mit dem ansteckenden Rhythmus und/oder mit dem Text zu tun. Wie konnte vor all den Jahren ein Schwarzer
einem Weissen sonst sagen, dass er ja gar nicht so gross sei, sondern einfach nur grossgewachsen,
wenn nicht in einem Lied? Die vorliegende Version ist für mich eine Perle, weil Son Thomas mir endlich Platz
zu einem überraschenden Solo liess. Es war das einzige Solo wührend unserer Partnerschaft.
In all den Jahren der Zusammenarbeit (1985-1993) spielten wir "Lonesome Day" nur ein einziges Mal (1987,
wührend einer Aufnahme Session zu GATEWAY TO THE DELTA, Rust College in Holly Springs, Mississippi). Ich
erinnere mich: als Son seine Gitarren Einleitung anzupfte wollte ich ihm sagen, dass wir "Sugar Mama" soeben
eingespielt hütten, ein Blues mit fast identischer Notenfolge am Anfang. Zum Glück merkte ich früh genug,
dass eine der Noten leicht anders daherrollte, und ich schwieg. Aufgrund meiner Erfahrung mit Son muss ich
sagen, dass es sich hier um eine momentane Collage handelt die wir weder vorher, noch danach, je wieder
gespielt haben. Vor vielen Jahren glaubte ich, dass alle Blues Songs so [im Moment] zusammengestellt würden.
Die Zeit hat mir gezeigt, dass meine Glaube ein Irrtum gewesen war.
WILBURT LEE RELIFORD
Eine dünne Rauchfahne steigt aus dem Kamin zum üden Himmel hoch. Wilburts massige Figur steht in der offenen
Türe des Hauses. Das Innere verstrümt etwas Unheimliches, etwas Heimgesuchtes. Das langweilige Grau der
Zementblücke und die mich umgebende Dunkelheit sind im wahrsten Sinne atemraubend, fast beüngstigend. Die Luft
ist mit dem Geruch von kochenden Bohnen und Fett gesüttigt, Schweinehals Knochen blubbern auf dem Holzherd.
Wilburts Welt ist eine von Grauwerten. Er braucht kein Licht, da seine Blindheit ihre eigene Welt entwirft. Es
gibt keine Fotos an der Wand die meine unausgesprochenen Fragen beantworten künnten. Er hült sein Haus sauber,
und dennoch grinsen mich die Kakerlaken an. Wilburts laute Stimme füllt die Leere seiner Augen, eine Stimme die
gut zu seinem krüftigen Kürper passt. Seine nackten Füsse rutschen über den Zementboden, die grossen Hünde
suchen sich ihren Weg den Wünden nach. Er verlor seine Sehkraft im Jahre 1937 als er gerade 13 Jahre alt war.
Gott ist unser Freund, doch unsere Augen sind es auch. Ein dicker Nebel liegt stündig zwischen mir und dem
Tageslicht. Ich kann das Tageslicht vom Dunkel unterscheiden. Ich kann alles sehen was so gross ist wie
das Tageslicht. Es nimmt ihn wunder, ob es in der Schweiz auch farbige Menschen gebe.
Normalerweise hült Wilburt die Türen abgeschlossen, weil er die Welt als zunehmend feindlich und gewalttütig
auffasst. Ein kleiner Taschenradio vermittelt ihm nicht nur Zugang zu R&B Musik, sondern auch zu den letzten
Nachrichten aus Memphis, seien das nun Meldungen über neue Mordfülle oder über die politischen Spekulationen zu
einem amerikanischen Eingriff im Persischen Golf. Kriege und Gewalt, alles durchzogen mit atmosphürischer
Statik. Doch verfolgen ihn auch gewisse Bilder aus seiner Vergangenheit: er erzühlt von einer Lynchjustiz in New
Albany und von einem Toten im Tallahatchie River im Jahre 1932, und dass seine Frau von ihrem ersten Mann
erschossen worden sei. Trotzdem geniessen wir beide unsere gemeinsame Zeit, egal was uns das Radio mitteilt.
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Als Wilburt seine Harmonika ansetzte und meinte hier ist ein Lied das vor langer Zeit sehr bekannt
gewesen war, hatte ich keine Ahnung, was er spielen würde. Doch war ich zum Glück vertraut mit
seinen Rhythmen. Wenn ich mir nun im Nachhinein diesen aufgezeichneten Moment aus Wilburts Küche anhüre, so
entdecke ich nicht nur meine verzweifelte Bemühung ihm durch den Song zu folgen, sondern eben auch wie mir
mein Buchwissen und -glauben zum Thema "Blues Musik" in die Quere kamen.
JOHNNY WOODS
Ich hatte Johnny Woods bereits zuvor einmal getroffen. Wührend des 1985 Blues & Gospel Festivals in Holly
Springs, Mississippi hatte ich die zwei Harmonika Spieler Johnny Woods und Wilburt Lee Reliford (ein Cousin von
Junior Kimbrough) auf der Gitarre begleitet. Es hatte damals einige Zeit gedauert bis sich die zwei über die
Tonart einigen konnten; das Finden eines gemeinsamen Lieds war eine andere Angelegenheit gewesen.
Die Strasse zu Johnnys Haus ist voller Schlaglücher und Pfützen, misshandelt von schweren Lastwagen. Sie führt
am Kieswerk vorbei. Endlich finde ich das Haus auf der linken Strassenseite. Der Regen füllt vom zerbeulten
Blechdach, einige Fensterscheiben sind zerbrochen. Johnny üffnet die Türe. Ein alter Mantel und zwei paar Hosen
helfen ihm warm zu bleiben. Ich hatte Armut bereits früher gesehen und gerochen, doch das Bild hinter Johnnys
Rücken dümpft meine Begeisterung über das Treffen mit der Blueslegende Johnny Woods, dessen musikalische
Vergangenheit mit dem Gitarristen Mississippi Fred McDowell einen langen Schatten geworfen hatte.
Das Polster des Lehnstuhls hüngt auf den Boden runter, ein Holzboden übersüt mit alten Zeitungen, Lumpen,
Windeln, leeren Konservendosen und Flaschen. Der Raum widerhallt mit der Brutalitüt des Verlassenseins, doch ist
noch Leben da. Johnnys Frau Verlina sitzt auf einer durchgelegenen farblosen Matratze, eingehüllt in schmutzige
Lein- und Sacktücher, ihre blinden Augen aufgerissen. Ein paar Grosskinder kriechen über die gespaltenen
Holzbretter, immer in der Nühe des Holzofens bleibend, der zugleich auch als Küchenherd gebraucht wird. Der Raum
macht Angst. Ich schüme mich Zeuge dieser Nacktheit und ungeschützten Intimitüt zu sein. Das Musizieren mit
Johnny gibt mir die Gelegenheit meine Augen auf die Gitarre zu richten, eine Chance zur Flucht. Nach einer
scheinbaren Ewigkeit verlasse ich die dumpfe Würme, den Geruch von Urin, die Stille der leeren Augen, die
lautlos kriechenden Kinder, Johnnys rohe Harmonikatüne und seine stille Frage nach einem Drink der sein Zittern
und Zühneknirschen beruhigen würde. Noch hüre ich Verlinas Beteuerung, dass sie einst Blues gesungen habe,
nichts von diesem neuen Zeugs sondern den alten Blues. Ich wurde im Blues grossgezogen.
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Ich interviewte Johnny Woods in 1987, und die vorliegenden drei Stücke sind Teil dieses Interviews. Ich
verlangte, dass alle an diesen Interviews Beteiligten nüchtern waren; das Interview fand deshalb auch recht
früh statt. Trotz der temporüren Abstinenz blieben Johnnys Stimme und Harmonika überzeugend. Beim Anhüren
kommt mir immer wieder das für mich Wesentliche hoch: Ich konnte fast nicht glauben, dass ich tatsüchlich
mit Johnny Woods Blues spielte!
"Long Haired Doney" überrumpelte mich vüllig und ich fand mich ohne musikalische Ideen. Ausser dem
Beibehalten des Rhythmus' kam mir nichts in den Sinn, doch im Nachhinein war es richtig so: ich kam Johnny
nicht in die Quere. Bei "Rollin' & Tumblin'" fühle ich immer noch die Erde. Am Schluss seiner emotionalen
Interpretation von "Death Bells" hatte ich Johnny gefragt, ob er jemals einen Song geschrieben habe. Seine
Antwort war sehr treffend: Ich spiele das seit langem, doch stell ich es immer neu zusammen. Was mir dann
in den Sinn kommt, denn ich kann weder schreiben noch lesen. Ich hüre viele sagen 'ich habe ein Lied
geschrieben und ich spiele es.' Ich habe nie ein Lied geschrieben. Das einzige Lied das ich geschrieben
habe, habe ich im Kopf geschrieben.
FRANK DAVIS
Indianola. Das wendige, einmotorige Flugzeug tanzt über dem Baumwollfeld, dann verschwindet die "gelbe Wespe"
hinter einem Wüldchen und taucht in der Ferne wieder auf, ein paar knappe Meter über dem Boden; die
unkrautvertilgende Sprühwolke folgt ihm wie ein atmender Schatten. Vor dem Restaurant stehen ein paar
erdverkrustete Pickups in der frühen Morgensonne. Bei meinem Eintreten verstummen die Gesprüche, Zigarren- und
Zigarettenspitzen zielen auf mich und Augenpaare folgen mir zu meinem Platz. Dann geht das harte Gemurmel durch
geschlossene Zühne weiter. Fast habe ich das Gefühl, ich wisse jetzt was ültere schwarze Leute meinen wenn sie
mir erzühlen, dass sie gewisse Orte meiden weil es sich nicht gut anfühlt. Und so fragt mich denn die
junge Serviertochter auch als erstes, ob ich aus dem Norden stamme. Hier verschwendet man keine Zeit mit
Hüflichkeiten.
Frank Davis wohnt in Moorehead, ein paar Kilometer von Indianola entfernt. Wegen seiner fortschreitenden
Zuckerkrankheit (Diabetes) verliert Frank langsam seine Sehkraft und seine Beine. Er sitzt im Rollstuhl. Doch
ist er nach wie vor ein humorvoller Schnelldenker. Und so will er denn auch nicht lange schwatzen: wührend der
folgenden paar Stunden ergeben wir uns der Musik und dem Humor. Ab und zu lehnt sich Frank flüsternd zu mir
rüber. Ich habe mal viel Blues gespielt. Doch will das meine Frau Ruby [er zeigt gegen die Küche hin]
nicht mehr. Ich entwische ihr jedoch bei jeder Gelegenheit. Morgen würe ein guter Tag. Meine Frau geht zu
einer Beerdigung. Ich werde hier sein. Also hat Frank den klassischen Blues aufgegeben. Dafür blüst er
jedoch bluesige Spirituals wührend Ruby in der Küche hantiert und den Grosskindern Pfannkuchen, Wurst und
gebratenes "sidemeat" zum Frühstück bereitet.
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Als Frank mich mit den Worten einlud das will ich zuerst spielen, du kannst deine Gitarre spielenü. Ich
ging in den Bauch, wollte nicht dort bleiben, doch wurde meine Seele glücklich und ich blieb den ganzen
Tag, hatte ich keine Ahnung dass er ein altes Spiritual spielen würde; natürlich ohne weitere Worte,
doch vorangetrieben durch Franks beseelten Atem. Ich blieb musikalisch ganz einfach an dem Grundakkord
kleben und versuchte im Spiel zu bleiben, stündig wie auf glühenden Kohlen, da ich nicht wusste was das
Energiebündel vorhatte. Ich atmete auf als Frank andeutete, dass es dem Ende zugehe, doch war er schon bald
wieder mitten drin. Irgendwie schafften wir es jedoch bis zum Schluss, wo sich das Stück endlich erklürte.
Da hast du's. Ich ging in den Bauch, wollte nicht dort bleiben, doch wurde meine Seele glücklich und ich
blieb den ganzen Tag. Und auf den Knien bat ich Gott mir zu helfen, bat ihn um seine helfende Hand. Und
dann fragte ich ihn wieder mir seine Hand zu reichenü Ich sang sie nicht, doch so lauten die Worte.
Ich nehme an, dass Frank dank des Lieds "selig wurde" was wohl jeder Glüubige bezeugen künnte, wenn er sich
Franks Reise "in den Bauch des Wals" anhürt [das Spiritual erzühlt die alttestamentarische Geschichte von
Jonas und dem Walfisch].
JUNIOR KIMBROUGH
Ein langweilig-grauer Sonntag, die Strassen sind nassglatt. Der Weg zu Juniors Haus ist matschige, rote Erde.
Die sonntügliche musikalische übungsrunde ist in vollem Gang: Juniors Wohnzimmer ist bereits voller Leute und
auch auf dem Vorhof des kleinen Hauses haben sich etliche Besucher zu Gesprüchen und Drinks gefunden.
Viele der sonntüglich gekleideten Anwesenden kommen direkt nach dem Gottesdienst zu Junior. Sie sitzen auf
Motorhauben oder stehen in beweglichen Gruppen rum, erzühlen sich Geschichten, saugen an Flaschenhülsen und
Glimmstüngeln. Drinnen sucht Juniors Gitarre den Weg zu seiner Musik, eine Musik die keinen Anfang und auch kein
Ende zu kennen scheint. Junior lehnt sich nüher ans Mikrofon ran, die glimmende Zigarette hüngt im linken
Mundecken. Hüufig verstehe ich seine Worte kaum, es sind Urtüne tief aus dem Innern geholt und durch den
verzerrenden Gitarrenverstürker gepresst. Ab und zu singt der eine oder andere sogar mit. Sie alle kennen
Juniors Musik seit vielen Jahren.
I erkenne einige von meinen früheren Besuchen wieder. Die drahtige ültere Frau schlüft auf dem Sofa, ihre
Handtasche fest in den Armen; ein alter Graubart spielt eine unsichtbare Mundharmonika, tanzend und um sich
schlagend, bis er erschüpft auf einen Stuhl füllt; Sam hat sich eben etwas mehr Whiskey aus Juniors Küche geholt
und reicht die Flasche rum; und dort ist auch Jewel, die morgen wiederum weisse Haushalte besorgen wird, doch
heute geht es ihr gut. In der Küche finde ich R.L. Burnside und Cotton Howell beim Kartenspiel. Die Musik
stampft weiter.
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Die Musik von Junior Kimbrough ist ansteckend und geht in die Füsse und Hüften, eben so wie es Blues Musik
eigentlich tun sollte. Meistens wenn ich bei Junior mitspielte, hatte er einen Schlagzeuger und Bassisten
dabei, wenn nicht sogar noch einen zweiten Gitarristen. Die vorliegende Version von "Too Late" ist reduziert
auf Stimme, Gitarre und Mundharmonika. Ich fühlte mich recht wohl in diesem Duo: so hatte ich die
Gelegenheit, mich durch den Raum rund um Juniors flüssige Noten zu atmen.